Iran-Etappe 4: Yazd und die Türme des Schweigens
Die Wüstenstadt Yazd
Yazd liegt am Rande der Wüste Lut und ist ein absolutes Muss für Architektur-Fans. Hier befindet sich ein Meer aus lehmfarbigen Bauten, die im Abendrot golden glänzen, überragt von Windtürmen mit ihren charakteristischen Längsstreben. Die 350.000 Einwohner zählende Wüstenstadt liegt auf 1.200 Meter Höhe. Aufgrund ihrer gut erhaltenen, historischen Altstadt wurde ihr von der Unesco das Weltkulturerbe-Siegel verliehen.
Unser Hotel liegt in einer verwinkelten Gasse im Bazarviertel. Der Bau fungierte in der Vergangenheit als Waschhaus, das der heutige Besitzer liebevoll renovierte und mit traditionellen Einrichtungsgegenständen ausstattete. In seinem Innern gelangen die Gäste zu einem quadratischen Innenhof, dessen Mittelpunkt ein großes Wasserbecken markiert. Rundherum sind zahlreiche Diwane drapiert. Wer will, kann sich dort das Abendessen servieren und von den anderen Gästen beobachten lassen. Denn von fast allen Zimmern aus, kann ein Blick auf das Karree geworfen werden.
Unser Spaziergang führt uns am nächsten Morgen durch die Altstadt von Yazd. Geschäfte, Handwerksbetriebe, Bäder und Bäckereien finden sich in einem Gewirr enger Gassen. Wo immer es geht, suchen wir Schatten unter Stützmauern und Kuppeln, die gegenüberliegende Gebäude miteinander verbinden. Es duftet nach frischgebackenen Fladenbrot.
Um die Mittagszeit ist es still in der Altstadt, nur ein paar ältere Herren radeln gemächlich mit dem Fahrrad vorbei. Einige der Lehmbauten sind verfallen. An ihrer Stelle entstehen Neubauten aus Beton. Überhaupt sind viele der historischen Gebäude nicht mehr bewohnt. Die traditionelle Bauweise hat heute nur wenig Anhänger, moderne Wohnungen im neuen Teil von Yazd sind für ihre Bewohner komfortabler.
Zarathustrier und die Türme des Schweigens
Yazd ist jedoch nicht nur für seine prachtvollen historischen Bauten berühmt, sondern auch als ein Zentrum der Zarathustra-Religion bekannt. Diese Religion ist den meisten Europäern gänzlich fremd. Sie geht auf den altiranischen Propheten Zoraster (Zarathustra) zurück, der in der Region des heutigen Ost-Iran lebte. Er empfing seine Erleuchtung vermutlich im 7. oder 8. Jahrhundert vor Christus.
Die Hauptprinzipien des Zoroastrismus sind: gute Gedanken – gute Worte – gute Taten. Das wichtigste Element des Kults ist das Feuer, das mit einem Feueraltar gewürdigt wird. Bei den Gottesdiensten laufen die Gläubigen in einer Prozession um ihn herum. Im Feuertempel von Yazd leuchtet das ewige Feuer bereits seit 470 nach Christus, heißt es. Und von diesem, so der Volksmund, stammen alle anderen Feuer im Land.
Diese Religion kennzeichnete über Jahrhunderte hinweg zudem besondere Begräbnisriten, die in „Dachmen“, den sogenannten Türmen des Schweigens (dakhmeha-ye zartoshti), durchgeführt wurden. Sie liegen rund sieben Kilometer südlich vom Stadtzentrum von Yazd entfernt und waren als Ort für Luftbestattungen der Zarathustrier von zentraler Bedeutung. Hier bahrten sie rituell in den Ringmauern der Türme ihre Toten auf, damit Aasfresser sie bis auf die Knochen abnagen konnten. Anschließend wurden die Gebeine in besonderen Kisten in der Erde beigesetzt. Denn die Erde gehört für die Zarathustrier zu den vier heiligen Elementen. In den 1960er Jahren wurde dieser Totenkult jedoch verboten. Seitdem finden die verstorbenen Gemeindemitglieder in einem Friedhof in der Nähe ihre letzte Ruhestätte.
Gentleman-Training im Krafthaus
Weniger makaber, aber ebenfalls traditionell, geht es in den Krafthäusern der Stadt zu. Die sogenannten „Zurchanehs“ (Häuser der Stärke) sind landesweit verbreitete Stätten zur Vorbereitung auf Ringkämpfe nach Vorbild aus vorislamischer Zeit. Hier treffen sich regelmäßig Menschen für überlieferte Kraftübungen und Tänze. Die runde Trainingsfläche dieser Fitnessarenen ist tiefer gelegt, die Zuschauer sitzen in erhöhter Sitzposition um sie herum.
In der Nähe des Meydan-e Mir Chaqmaq (südlich des Bazars) steht ein solches Krafthaus. Gegen kleines Entgelt, kann jeder Interessierte das Ereignis mitverfolgen. Dabei müssen wir, wie alle Besucher, unsere Schuhe ausziehen, bevor wir den Übungsraum betreten. Die Gerüche, die einem in der Hitze in die Nase drängen, verraten, dass das Zurkhaneh voller Touristen ist, die keine Waschgelegenheit für ihre Füße gefunden haben.
Die choreografisch und gymnastisch einstudierten Übungen führen meist Männer im reifen Alter vor, die in Nachbarschaftsvereinen organisiert sind. Im Rhythmus der Trommel wärmen sie sich zunächst ohne „Geräte“ auf. Anschließend schwingen die Gentleman bis zu 50 Kilogramm schwere Holzkeulen oder Stangen mit Eisenketten und -ringen nach oben und über ihre Schultern, während sie vorgegebene Schrittfolgen aufführen. Begleitet werden sie von einem „Sprecher“, der die Tapferkeit schiitischer Geistlicher besingt oder Passagen aus dem persischen Königsbuch vorträgt.
Nach ca. einer Stunde verlassen wir die Vorstellung. Dankbar nehmen neu hinzugekommene Besucher unsere Plätze ein. Wir gehen in unser Hotel zurück und machen uns für das Abendessen frisch, bei dem wir uns auf unsere nächste Etappe einstimmen wollen: Isfahan, die schönste Stadt des Iran.