Bar Circle by Cihan Anadologlu | Hearthouse München
Eigentlich wäre er gern Basketballspieler geworden. Seinen Kindheitstraum hat Cihan Anadologlu dann doch nicht verwirklicht, dafür aber seine Vision einer besonderen Bar. 2016 eröffnet er die Bar Circle in der alten Münchner Börse, einem Prachtbau aus der Renaissance am Lenbachplatz. Noch im selben Jahr wird sie als „Most Innovative Bar“ mit dem Fizzz Award ausgezeichnet und von Drinks International als „World’s Top 100 Cocktail Bar“ gelistet. Der Reigen an Prämierungen setzt sich fort. Doch einen Wermutstropfen hat das Mixologen-Märchen: Das Hearthouse, als dessen Herz die Bar Circle im ersten Stock schlägt, ist ein privater Club in München. Drinks gibt es also sozusagen „for members only“. Die LuxSpots-Redaktion kostete verschiedene Kreationen der saisonal wechselnden Getränkekarte beim Gespräch mit Cihan Anadologlu, einem der derzeit kreativsten Köpfe der internationalen Barszene, während dieser von Rotationsverdampfern, japanischer Lebensphilosophie und echten Vorbildern erzählte.
Cihan, was haben wir gerade im Glas?
Das ist einer unserer neuen Cocktails aus der Sommerkarte. Ein frischer Sommerdrink auf Wodka-Basis, der mit weißem Spargel versetzt ist. Beigemischt wird Estragonsirup, ein Schaum aus Grapefruit und Spargel krönt das Glas. Beide Komponenten harmonieren wunderbar miteinander.
„Who the fuck is Hugo?” – So heißt Eure aktuelle Karte. Wie lautet denn Eure Antwort auf diese provokative Frage? Und wie bietet Ihr dem Münchner Szene-Getränk die Stirn?
Hiermit wollen wir unseren Gästen zeigen: Wir sind anders, puristisch und gehen eigene Wege. Ich habe diese kleine Craft Cocktail Bar nach japanischem Vorbild entwickelt, die anders als andere Bars auf der Welt ist. Mittlerweile kombinieren viele Bartender verschiedene Aromen, was sehr interessant ist. Wir gehen mit unserem Konzept noch einen Schritt weiter. Wir verwenden unter anderem einen Rotationsverdampfer zum Destilliere. Dieser bringt beispielsweise eine Cola ganz klar raus oder kann eine Saftschorle in Wasser und Saft trennen. Nachdem die Sterneküche den Rotationsverdampfer einsetzte, hat die Barwelt ihn für sich entdeckt. Aber damit muss man sich natürlich auskennen. Das ist nicht einfach und außerdem kostspielig, also nicht für jedermann und jede Bar geeignet.
Was unterscheidet die Bar Circle noch von anderen Bars?
Wir achten insbesondere auf Nachhaltigkeit und verwenden kein Plastik, sondern nutzen nur Strohhalme aus echtem Stroh. Auch verkaufen wir kein Wasser, denn wir finden, Wasser ist ein Grundnahrungsmittel, das jeder umsonst bekommen sollte. Und jeder Gast erhält bei uns Wasser, das vorher mit japanischer Kohle gefiltert wurde.
Wir arbeiten mit Eisblöcken, nicht mit Eiswürfeln. Das ist alles sehr japanisch, weil wir jeden Cocktail individuell gestalten und jeden einzelnen Eisblock im Glas mit unserem Logo versehen. Die Gläser sind schockgefrostet und kommen aus London oder Tokio. Außerdem arbeiten wir nur mit frischen Produkten und „homemade“ Zutaten, wie selbst hergestellte Essenzen oder Liköre. Auch greifen wir überwiegend und gerne auf regionale Produkte zurück. Das ist alles sehr detailliert hier. Unser Kaffee stammt zum Beispiel von Tim Wendelboe aus Norwegen, dem besten Kaffeelieferanten der Welt. Er verkauft an niemanden, ohne vorher dessen Konzept gesehen zu haben. Und das muss ihn überzeugen. Das Restaurant noma in Kopenhagen schenkt beispielsweise seinen Kaffee aus.
Und Du hast ihm geschrieben, oder kennst ihn?
Ich kenne ihn, ja. Der richtige Kaffee ist uns genauso wichtig, wie die anderen Getränke. Unsere vorherige Karte hieß beispielsweise „#rethinktheworld“ und dementsprechend haben wir ganz andere Cocktails zubereitet, als die, die man auf anderen Karten findet.
Cihan Anadologlu über seine Neuinszenierung des „Sex on the Beach“ Cocktails:
Wir unterscheiden uns von der übrigen Barszene durch Technik, Herstellungsweise und Präsentation. Wir bieten ein All-in-one-Paket. Der Gast soll mit einem Erlebnis nach Hause gehen, und nicht einfach nur konsumieren. Er soll zu unseren Spirituosen beraten werden. Es sind nicht viele, vielmehr eine sehr detaillierte Auswahl. Das ist gut so und genau das wollen wir, dahinter stehen wir.
Wenn man Eure Karte liest – verzeihe die Ausdrucksweise – ist das schon verdammt abgefahren, was Ihr dem Gast serviert!
(lacht) Ja, stimmt. Bei einem unserer Drinks beispielsweise, der wie ein Aperol Spritz aufgebaut ist, befüllen wir das Glas nicht mit Eiswürfeln, sondern mit einem gefrorenen Avocado-Stein. Dieser ist mit einem italienischen Wermut infusioniert und gibt wirklich nur Kälte ab, ohne jedoch wie ein Eiswürfel den Drink zu verwässern. Da eine der Komponenten im Drink auch Avocado ist, spiegelt sich diese sehr schön mit dem Avocado-Stein wieder. Das sind aber nur Kleinigkeiten, dahinter steckt noch viel mehr Wissenschaft.
Ziemlich ungewöhnlich ist ja nicht nur Eure Kombination der Aromen, sondern auch die der Protagonisten selbst, oder?
Ja, das ist auch unser Ziel. Wir wollen das Ganze ein wenig auf Sterneniveau heben. Ich arbeite daher auch sehr viel mit Drei-Sterne-Köchen zusammen. Wir machen Food-and-Cocktailpairings im Séparée oder im Kitchen-Restaurant hier im Hearthouse, wie letztens mit Philipp Stein, der als „Aufsteiger des Jahres“ vom Feinschmecker ausgezeichnet wurde. Das ist die Art von Gastronomie, die sich neu erfindet, um dem Gast neue Erlebnisse zu bieten. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass unser Berufsstand nicht nur daraus besteht, Alkohol auszuschenken. Im Gegenteil, wir handeln sehr überlegt. Wir verwenden auch low-proof-Alkohol, nicht nur Spirituosen mit über 40 Prozent Alkoholvolumen, um verschiedene Geschmackrichtungen aufzuzeigen. Dafür interessieren sich immer mehr Gäste. Natürlich gibt es auch diejenigen, die sich nur einen klassischen Whisky Sour wünschen. Diese fragen wir dann, ob sie nicht schon mal einen Whisky Sour getrunken haben, der genauso so klar aussieht wie Wasser. Denn wir wollen den Leuten wirklich etwas Neues bieten. Im Gegensatz zur Standard-Bar-Szene, die eigentlich vor allem aus dem „Who is who“ besteht. Wir wollen unseren Gästen mit unserem Konzept auch eine andere Seite der Barwelt näherbringen.
Wenn wir jetzt dreißig Jahre in Deiner Biografie zurückgehen. Wolltest Du als Fünfjähriger schon Barkeeper werden?
Nein, natürlich nicht. Mein Lebenslauf ist komplett anders gekommen, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich habe als Kind mit Basketball angefangen. Das war mein ganzes Leben, mein ganzer Traum. Als Siebzehjähriger habe ich in der Sommerliga und im Camp bei den New Jersey Nets Basketball gespielt. Insofern würde ich jetzt eigentlich nicht hier sitzen, sondern auf irgendeiner Yacht. (lacht)
Halten wir also fest, Du wärst eigentlich Profi-Basketballer geworden. Wenn man das nicht wird, ist dann der nächste logische Schritt Barkeeper?
Klar, oder?! (lacht) You never know! Meine Eltern sind beide Köche. Deshalb bin ich auch in sehr jungen Jahren schon mit dem Thema Getränke und Food in Berührung gekommen. Dann habe ich mir irgendwann gedacht, ich versuche das jetzt einfach, weil es mich wirklich sehr interessierte. Mit der Zeit habe ich immer mehr Gefallen daran gefunden und angefangen sehr viel zu recherchieren und zu lesen. In Anführungszeichen hatte ich nicht so eine typische Jugend wie andere, die ihr Leben auf Partys genossen haben. Vielmehr war ich wirklich tagtäglich dahinter, alles was ich verdiene, wieder in meine Ausbildung zu stecken. Meine Sammlung zum Thema Food und Drinks umfasst mittlerweile mehr als 1000 Bücher.
Hast Du auch Kochen gelernt?
Ja, ich habe weltweit verschiedene Kochschulen besucht. Was wir hinter der Bar machen, unterscheidet sich ja eigentlich nicht grundlegend. Von der Denke her, ist es fast dasselbe. Nur arbeiten wir mit flüssigen Materialien, Köche primär mit festen.
Warum hast Du Dich für die flüssige Materie entschieden?
Du bist mittlerweile sehr bekannt. Dennoch wirkst Du bescheiden und bodenständig. Woher kommt das?
Ja, das ist so eine Sache (lacht). Ich war nicht immer so. Das lernt man natürlich mit der Zeit. Der Umgang mit Menschen prägt. Die jahrelange Arbeit hinter der Bar, an verschiedenen Orten in der Welt auch. Und natürlich auch mein Mentor, Charles Schumann, der ja wirklich wie ein Vater für mich war. Er hat mir viel mit auf den Weg gegeben, unter anderem, wie wichtig Bescheidenheit ist. Das habe ich ebenfalls aus meinen Japan-Reisen mitgenommen. Auch die Erkenntnis, dass Bescheidenheit einen viel weiterbringt, als den Poser zu spielen.
Und wenn wir Dich in fünfzig Jahren wiedertreffen, wen haben wir dann vor uns?
Wahrscheinlich wieder mich, und wahrscheinlich noch bescheidener. (lacht)
Jeder hat natürlich auch so seine Ziele im Leben – wie eben diese Bar hier. Aber ich denke, man sollte sich Zeit nehmen und Geduld haben. Es gibt beispielsweise schon viele Anfragen, dieses Barkonzept unter meinem Namen als Franchise zu nutzen. Ich lehne aber immer ab, denn wenn, dann möchte ich auch ab und zu selbst vor Ort sein, um mich von der Qualität zu überzeugen. Außerdem möchten auch die Gäste einen sehen. Einfach nur Namensrechte abzugeben, und dann zu sagen, ich stecke die Kohle ein – das geht vielleicht zwei Jahre gut. Aber was ist dann nach fünf Jahren?
Siehst Du Dich als Barkeeper oder eher als Bartender?
Bartender. Barkeeper heißt, Dir gehört die Bar. Bartender, Du arbeitest an der Bar. Ich sehe mich selbst immer noch als Bartender, auch wenn ich ein Barbesitzer bin. Das ist meine Berufung. Wer mich hier abends trifft, sieht, wie ich unter anderem auch Gläser spüle und poliere und mich dabei mit den Gästen unterhalte.
Natürlich gebe ich auch meinen Mitarbeitern die Möglichkeit, sich hier zu entfalten. Sie sollen zeigen, was sie können. Das würde ja keinen Sinn machen, wenn nur ich Abend für Abend Cocktails mixe, auch wenn sich das viele wünschen. Aber dann bräuchte ich keine sehr guten Mitarbeiter. Denn diese sind mindestens genauso gut wie ich.
Was machst Du, wenn Du nicht in der Bar Circle stehst? Bist Du viel unterwegs?
Von 365 Tagen im Jahr, bin ich 200 weg. Ich reise von Restaurant zu Restaurant, von Stadt zu Stadt, von Bar zu Bar. Ich schaue mir Vieles an, denn mich inspiriert alles: von Architektur, über Food, einfach alles. Das hilft mir, Neues zu kreieren.
Ich habe zusätzlich noch ein Consulting-Unternehmen und berate weltweit Luxus-Hotels bei der Umsetzung ihrer Barkonzepte, gebe Mitarbeiter-Trainings, gestalte Menüs und vieles mehr. Meistens kommen die Anfragen sehr kurzfristig rein. Erst gestern kam eine aus Osaka, wo ich nächste Woche hinfliege.
Woher kommt Deine Liebe zu Japan?
Meine Lieblingsspeise ist Sushi. Aber nicht die Art von Sushi, die man in Deutschland kennt. Erst wenn man einmal in einem Drei-Sterne-Sushi-Restaurant in Tokio gegessen hat, versteht man diese Kunst. Da spielen so viele Faktoren mit rein. Das ist nicht nur Essen, das ist eine Kunst für sich, und in die habe ich mich verliebt. Allein ein kleines Stück Nigiri Sushi beinhaltet so viel Können, Wissen und Tradition – das nehme ich mir zum Vorbild. Ich habe mich mit Jiro Ono, dem 91-jährigen Drei-Sterne-Sushi-Chef, unterhalten. Dieser Mann macht das beste Sushi der Welt und sagt von sich, er wisse immer noch nicht, wie perfektes Sushi geht. So eine Bescheidenheit! Ono erfindet sich jeden Tag neu und lernt jeden Tag neu dazu. Wenn ich dann auf der anderen Seite junge Burschen sehe, die in einem gewissen Alter schon als Stars gehypt werden und denken „the world is mine“, finde ich das schade. Das beantwortet die Frage, warum ich diese Liebe zu Japan habe. Das ist für mich einfach eine besondere Lebensphilosophie.
Ihr bietet unter anderem viele Whiskys aus Japan an. Habt Ihr hierzu auch einen passenden Signature Drink?
Wie geheim sind Deine Rezepte?
Gar nicht geheim. Mein Cocktailbuch kommt am 11. September heraus, mit fünfzig Rezepten von mir. Ich bin niemand, der etwas versteckt und ein tolles Rezept für sich behält. Denn ich meine „sharing is caring“. Das ist doch toll, wenn weltweit meine Drinks gemixt werden.
Für wen ist das Buch gedacht?
Für jeden.
Kann auch jeder Deine Drinks zuhause nachmixen?
Da steht eine 1:1-Anleitung drin, wie die Sachen funktionieren. Und die ist auch nicht sehr schwer. Denn ich habe nichts mit reingenommen, wo zum Beispiel der Rotationsverdampfer mit zum Einsatz kommt. Es wird ein sehr schönes Buch und heißt „Bar Bibel“, das im Callwey-Verlag erscheint. Hier wurden auch schon Bücher von Tim Raue und vom Restaurant Tantris verlegt.
Dein erstes Buch?
Ja, mein Erstes. Nächstes Jahr gibt es dann noch ein „Schmankerl“ obendrauf.
Wo bist Du groß geworden?
In Giengen an der Brenz, das ist circa 30 km von Ulm entfernt, eine Kleinstadt mit 25.000 Einwohnern.
Verrätst Du uns noch ein besonderes Kindheitserlebnis von Dir?
Was macht Dich glücklich, wenn Du in Deiner Bar stehst?
Wenn ich den Gast sehe, wie er einen Drink probiert und anschließend ein Lächeln im Gesicht hat. Damit zaubert er auch eines in meins.